Marianne Weil
Texte, Features, Radiocollagen
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Transitraum – Übergang

Produktion: DKultur/RB/SR 2012

Nach dem 3. Oktober 1990 ist Deutschland ein einziger Transitraum. Im Westen ändert sich scheinbar nichts. Im Osten bricht scheinbar alles zusammen.

Das Radio berichtet kontinuierlich: Schalck-Golodkowski lebt jetzt am Tegernsee, Erich Honecker flieht nach Moskau, immer mehr Arbeitslose in den Fünf Neuen Ländern. Giftstoffe in der Elbe, Detlev Rohwedder wird ermordet, Erregte Debatten im Bundestag, 170 Kilometer Stasiakten, Gewalt gegen Ausländer in Hoyerswerda. Und während die Ölquellen in Kuweit brennen, rufen die Menschen plötzlich nicht mehr „Helmut Helmut“ sondern „Lügner Lügner“.

Das Stück „Transitraum“ ist eine Recherche in unserem Gedächtnis, eine Collage aus Archiv-Material mit Wetter, Musik und Nachrichten.

Transitraum nennt man einen Ort, der sich materialiter auf dem Boden eines Landes befindet, aber nicht zu diesem Land gehört: Exterritoriales Gebiet. Die Leute im Transitraum sind alle auf der Durchreise von einem in ein anderes Land. Die meisten wollen gar nicht einreisen, manche können oder dürfen nicht einreisen. Dieser Schwebezustand, nicht das eine, nicht das andere – beziehungsweise: nicht mehr das eine und noch nicht das andere. Das hat mich an dem Wort gereizt.

Nach vielen Stunden suchen-hören-sammeln im Archiv sitze ich irgendwann auf einem Materialberg aus dem Jahr 1990 und vor allem 1991. Das ist mein Schatzzsss, nur dass der Schatz noch nicht glitzert. Es kommt jetzt die Zeit, wo ich nicht mehr suche, sondern völlig passiv werde, nur noch höre und wie eine Art Medium agiere. Das Material ist da und ich reagiere darauf, probiere Konstellationen aus, versuche Zwischentöne rauszukitzeln. Irgendwann entstehen Bezüge, der Zufall spielt auch eine Rolle. Auch. Ich will das nicht mystifizieren. Mir ist völlig klar, dass es ein Montage-Subjekt gibt, und dass ich das bin. Aber attraktiv ist in meinen Augen nicht, was MIR dazu einfällt, sondern was SICH daraus ergibt, was ICH zum Klingen bringen kann.

Und dann kommt der Prozess der lustvollen Zerstörung. Es geht darum, Sätze und Wörter freizulegen – herauszupräparieren. Also das ist wirklich nichts für Pragmatiker. Wer nicht üppig sammeln kann und dann verschwenderisch wieder wegwerfen kann, der ist hier verloren.

Gulp klick klock wydiwidi raschel grunz, Tonkopf, Flatterband, Bobby, Schalter, Zeitzeichen, Uhrzeit – das sind die Geräusche zu dem Stück „Transitraum“. So wie die Vogeltriller zu einer Urwaldexpedition oder das Knirschen des Schnees zum Südpol gehören. Und dann höre ich plötzlich auf irgendeinem der Archivbänder diese Posaune von Albert Mangelsdorff aus dem Jahr 1990 – damit war das Stück dann schon fast fertig.

Skript

Transitraum