Grandhotel für Alle!
Flüchtlinge, Künstler und Hotelgäste unter einem Dach
Produktion: DKultur 2014
Eine basisdemokratisch organisierte, ziemlich bunte Gruppe hat eine Utopie in die Welt gesetzt. Nicht in einer Inszenierung auf dem Theater, sondern in einem realen Experiment.
So etwas gab es noch nie. Im Augsburger „Grandhotel Cosmopolis“ gilt das Motto: Wir sind alle Reisende auf dieser Erde, jeder ist willkommen, ganz gleich woher er kommt. Eine basisdemokratisch organisierte, ziemlich bunte Gruppe hat diese Utopie in die Welt gesetzt. Nicht in einer Inszenierung auf dem Theater, sondern in einem realen Experiment: Im Augsburger Springergässchen treffen sich Asylbewerber und Hotelgäste auf den Fluren und an der Bar, als wären alle frei und gleich. Und die Welt quietscht und ächzt. Natürlich gerät sie nicht aus den Fugen, denn dazu ist die Welt zu schwer! Aber sie bewegt sich.
Als 2011 eine Gruppe von Aktivisten durch Augsburg zog, suchte sie einen Ort für Musikveranstaltungen oder Ausstellungen, denn es waren Musiker, Künstlerinnen und Fotografen. Als sie dann dieses große leerstehende Haus sahen, ein ehemaliges Altenheim, mitten in der Augsburger Altstadt, sagten sie WOW, DA könnte man was machen. Als sie dann erfuhren, dass die Diakonie dort ein Flüchtlingsheim plante, dachten sie kurz nach und hatten plötzlich eine Idee. So entstand „Grandhotel Cosmopolis“. Die Reihenfolge bei der Entstehung des Projekts ist wichtig. Denn am Anfang stand nicht der Gedanke, wie können wir den Flüchtlingen helfen. Helfen ja, auch. Aber der Impuls war eher: Wie können wir zusammen etwas machen, von dem beide Seiten etwas haben. Etwas Neues. Ein Experiment. Etwas, das die Welt verändert. An EINER Stelle. Im Augsburger Springergässchen.
Das „Grandhotel Cosmopolis“ verbindet Kunst, Hotel und Flüchtlingsheim zu einer Mixtur, die sich „soziale Plastik“ nennt. Genauer heißt das: In einem Teil des Gebäudes wohnen Asylbewerber:innen. Mitten in Augsburg. In einem anderen Teil entsteht ein normales Hotel. Die Hotelzimmer werden jedes ganz individuell von Künstler:innen gestaltet. Außerdem entstehen in dem riesigen Gebäude Ateliers, Studios und Probenräume für Konzerte, Lesungen, Ausstellungen. Und im Keller wird eine Küche gebaut, die täglich Mahlzeiten aus aller Welt kocht.
So stoßen fremde Welten aufeinander. Die Augsburger, die durch ihr Domviertel streifen, können das merkwürdige Gemisch von Künstlern und Flüchtlingen bei Kaffee und Kuchen oder Eintopf gefahrlos erkunden. Die Künstler haben einen Ort und machen Programm. Der Hotelbetrieb soll einmal die Unkosten decken. Die Flüchtlinge helfen in der Küche oder betreuen den Kräutergarten. So viel Integration wie möglich. Das Gegenteil von Baracken am Stadtrand.
Soziale Plastik – diese Idee von Joseph Beuys ist das Herzstück der Gruppe, die Idee, hinter der sich alle versammeln können, denn sie lässt Spielraum für sehr Vieles. Der berühmte Satz von Beuys »Jeder Mensch ist ein Künstler« meint erst Mal, dass jeder Mensch, egal ob Arzt, Müllmann oder Ingenieur eine kreative Energie hat, die ihn dazu befähigt auf die Gesellschaft, in der er lebt und arbeitet, „plastizierend“ einzuwirken. Das ist ein erweiterter Kunstbegriff, der nicht nur Kunstwerke in Museen und Galerien als Kunst begreift, sondern die Gesellschaft als Gegenstand kreativer Energie. Als Gegenstand der Gestaltung.
Die Kunst spielt eine große Rolle, nicht nur beim Konzept der sozialen Plastik. Die zwölf Hotelzimmer für normale Hotelgäste sind alle unterschiedlich gestaltet. Manche bunt, manche minimalistisch. Zum Beispiel das Zimmer von Peter Weismann, das thematisch am dichtesten am Projekt dran ist. Da steht natürlich ein Bett, ein Tisch und Stühle – das waren die Vorgaben. Aber dann sieht man einen Mann, der durch dieWand geht: Der Mann ist aus Gips, ein Bein ist schon draußen, auch ein Arm, man schaut auf den Rücken im Halbrelief. Man schaut auf die Falten der Jacke, auf einen halben Hut, kein Gesicht. Der Mann ist grau-weiß in der Farbe der Wand gestrichen. Er befindet sich zwischen Innen und Außen, im Übergang, die Wand ist die Grenze. Peter Weismann sagte dazu, das sei für ihn das Bild für das Grandhotel Cosmopolis. Alle überschreiten Grenzen. Dazu braucht es Mut und eine gewisse Entschlossenheit, denn auf der andern Seite der Wand ist ja unbekanntes Terrain.
Das Stück wurde mit dem Robert-Geisendörfer-Preis 2015 ausgezeichnet.