Marianne Weil
Texte, Features, Radiocollagen
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Der Hund war nicht geplant.

Ein Politkrimi aus den 50er Jahren
DLR Berlin 2005

Ein schwarzes Auto schleicht den westberliner Hohenzollerndamm entlang. Es hält. Drinnen sitzen unter Hüten verborgene finstere Gestalten mit finsteren Absichten. Sie wollen Frau Stein vom RIAS in den Ostsektor entführen.

Das schwarze Auto, das in der Dunkelheit am Rand des Trottoirs entlangschleicht, hält an und wartet. Die im Auto sitzenden Männer haben das Café Bettin am Hohenzollerndamm fest im Blick. Jetzt kommt Lisa Stein heraus, mit ihrem Hund. Der Hund war nicht geplant! Dass Frau Stein so gesund aussieht auch nicht. Und vor allem war nicht geplant, dass sie an dem Auto vorbeigeht und im Preussenpark verschwindet, dass niemand hinter ihr herläuft und sie aufhält. Geplant war vielmehr eine von der Staatssicherheit der DDR organisierte Entführung dieser Frau in den Ostsektor und ein dann folgender politischer Schauprozess. Denn Frau Stein war Mitarbeiterin des RIAS: des Rundfunks im Amerikanischen Sektor. Und das wiederum hieß: sie arbeitete in einer Zentrale des Klassenfeinds und stand auf der schwarzen Liste der Staatssicherheit.

Ausgangspunkt für dieses Stück war ein realer Kriminalfall aus dem Jahr 1955. Der Mitschnitt einer Gerichtsverhandlung vor dem Landgericht Berlin-Moabit am 17.5.1955 befand sich im Schallarchiv des RIAS. Also Westberlin. Dass der Prozessmitschnitt aufgehoben wurde, ist zum einen der Tatsache zu verdanken, dass seinerzeit überhaupt Tonaufnahmen im Gerichtssaal erlaubt waren und andererseits der Tatsache, dass der RIAS die spätere Klage des verurteilten Gerhard Beck auf Löschung der Aufnahme ignorierte.

Dem 29 Jahre alten Gerhard Beck, geboren in Leipzig, wohnhaft in Potsdam, also DDR, wird in der Anklage vorgehalten, dass er anlässlich eines Treffens mit Frau Stein ihr vergiftete Pralinen angeboten haben soll. Dass er an einem Entführungsplan der Staatssicherheit der DDR beteiligt gewesen sein soll, demzufolge Frau Stein aufgrund der giftigen Substanz auf dem Heimweg bewusstlos zusammenbrechen sollte, demzufolge Männer in einem schwarzen Auto zur Hilfe eilen und sie zum Schein ins Krankenhaus, in Wirklichkeit aber in den Ostsektor entführen sollten.

Die Entführung von Frau Stein ging schief, aber die westberliner Polizei war gewarnt und vorbereitet. Bei einem weiteren Entführungsversuch einer zweiten Person aus dem Umkreis des RIAS wurde Gerhard Beck verhaftet. Sechs Wochen später fand der Prozess in Moabit statt.

Hört man den Angeklagten im Gerichtssaal, gewinnt man den Eindruck, dass da womöglich ein „kleiner Mann“, der im Krieg einen Arm verloren und eine Familie mit fünf Kindern zu versorgen hatte, in eine Sache hineingeraten war, die eine Nummer zu groß war für ihn. Dass der Staatssicherheitsdienst ihn unter Druck gesetzt hat, dass er gar nicht anders konnte, weil man ihm drohte. Dass er gar nicht wusste, was in den Pralinen für ein Gift enthalten war, dass er sich ständig bemühte, der Frau Stein nicht zu schaden, dass er aber das Spiel mitspielen musste, um sich nicht selbst zu gefährden.

Liest man die umfangreiche STASI-Akte von Gerhard Beck, gewinnt man ein völlig anderes Bild: Gerhard Beck war Doppelagent. Er war einerseits Informant des RIAS und lieferte Frau Stein Nachrichten aus der DDR, wofür er mal 10, mal 20 DM West erhielt. Er war andererseits und zuallererst Agent der Staatssicherheit der DDR, der als ein wichtiger Informant das Vertrauen von Frau Stein gewinnen sollte. Gerhard Beck war Teil der groß angelegten politischen Operation der Staatssicherheit der DDR gegen den RIAS.

Das Hörspiel entwickelt mit Hilfe dieser beiden Quellen – Prozessmitschnitt und Stasiakten – die Doppelagentengeschichte von Gerhard Beck aus dem Jahr 1955 in einem Berlin, das noch nicht durch die Mauer geteilt war, das als Viersektorenstadt ein Zentrum des Nachrichtenhandels war. In der sogenannten „Hauptstadt der Spione“ wechselten die Agenten mit ihrer Ware hin und her über die innerstädtische Grenze, die ja zugleich die Systemgrenze zwischen den politischen Blöcken war.

 

Ausschnitt Stasiakte

Aus der Stasi-Akte von Gerhard Beck

 

Skript

Der Hund war nicht geplant!